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Brief Kapitel 1.2

Brief von Hanna Reuter an Lucie Beste, 29. September 1927.

In einem Brief an ihre Schulfreundin Lucie Beste, der gut drei Monate nach ihrer Hochzeit entstand, gab Hanna Reuter Einblick in ihren neuen Alltag: „Von meinem Mann sehe ich oft sehr wenig. Er fährt morgens um 8 Uhr fort und kommt abends um 8, 9, 10, 11 usw. Uhr wieder nach Haus. Unsere einzige Verbindung ist dann das Telefon oder ich fahre schnell in die Stadt und wir trinken wenigstens zusammen Kaffee. Umso netter ist es dann an den Tagen, an denen er mehr Zeit hat. Dann gehen wir ins Theater oder lesen oder haben Besuch usw. Jedenfalls ist das Leben so ganz schön, und wir sind eigentlich beide überrascht, wie angenehm es ist, verheiratet zu sein.“

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Liebe Lucie,

 
ich merke schon seit langem: wenn man verheiratet ist, hat man viel weniger Zeit als wenn man ins Büro geht. Da gab’s wenigstens doch immer mal eine halbe Stunde, in der man seine Korrespondenz erledigen konnte. Wenn es noch so wäre wie früher, hättest Du auch viel eher einen Brief bekommen.
 

Ich bin seit unserer Rückkehr nach Berlin nicht mehr in der Redaktion. Vorher, die vier Wochen Büro und Haushalt, waren entsetzlich, sodass ich froh war, als wir fortreisen konnten. Ich glaube, wir schrieben Dir von Zermatt. Von dort gingen wir noch eine Woche nach Locarno, um gutes Wetter zu haben, denn im Gebirge war es sehr kalt. Die vier Wochen waren wunderschön, aber es war auch wieder

Brief von Hanna Reuter an Lucie Beste, 29. September 1927.
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sehr nett nach Berlin zu kommen. Unsere Wohnung ist sehr hübsch, aber es fehlt natürlich noch so allerlei, was noch so nach und nach kommen muss. An und für sich gibt es viel Arbeit und doch wieder keine. Wie es eben im Haushalt ist. Zum 1. November bekomme ich ein Mädchen. Dann bin ich unabhängiger und kann mehr lesen und mehr unternehmen. Von meinem Mann sehe ich oft sehr wenig. Er fährt morgen um 8 Uhr fort und kommt abends um 8, 9, 10, 11 usw. Uhr wieder nach Haus. Unsere Einzige Verbindung ist dann das Telefon oder ich fahre schnell in die Stadt und wir trinken wenigstens zusammen Kaffee. Umso netter ist es dann an den Tagen, an denen er mehr Zeit hat. Dann gehen wir ins Theater oder lesen oder haben Besuch usw. Jedenfalls ist das Leben so ganz schön, und wir sind eigentlich beide überrascht, wie angenehm es ist, verheiratet zu sein.

Brief von Hanna Reuter an Lucie Beste, 29. September 1927.
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Ich hoffe sehr, Ihr werdet bald einmal Gelegenheit haben nach Berlin zu kommen. Das wäre doch dann sehr nett, nicht wahr?
 
Ich bin übrigens sehr darauf gespannt zu erfahren, wie sich so die äusseren Umstände bei Euch geregelt haben. Wo wohnt Ihr denn? Gehst Du noch immer ins Büro? Du hattest doch wohl die Absicht? Dann muss man ja sicher von vornherein die Sache anders aufziehen, als wenn man eine Nur-Hausfrau ist, was ich eigentlich als etwas antiquierte Existenz betrachte. Aber andererseits ist die Verbindung Büro-Haushalt ja auf die Dauer auch nicht möglich und eine zu grosse Belastung. Augenblicklich bekommt mir das Zuhausesein ganz gut. Es gibt keine grossen Aufregungen, das Leben ist geregelter und so nach und nach fange ich auch an, wieder besser zu schlafen. Man muss bloss dahinter her sein, den Kontakt mit dem Draussen nicht zu verlieren

Brief von Hanna Reuter an Lucie Beste, 29. September 1927.
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Sonst kann man, weiss Gott, in all der Kleinarbeit umkommen. Dagegen wehre ich mich bis zum Aeussersten und vorläufig hat das ja auch keine Gefahr. […]
 

Grüss alle Deine Leute schön. Besonders Dir und Deinem Mann die herzlichsten Grüße
 

Deine Hanna

Brief von Hanna Reuter an Lucie Beste, 29. September 1927.
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