Mehr als nur Papier
Zu den Zielen der Stiftung Ernst-Reuter-Archiv gehört es, den im Landesarchiv Berlin verwahrten Nachlass Ernst Reuters durch Schenkungen, Erwerbungen und Recherchen in ausländischen Archiven fortlaufend zu ergänzen. Hier stellen wir einige Fundstücke aus den Beständen vor.
Bildnachweis »© Thomas Platow, Landesarchiv Berlin.
„Ihrem scheidenden Aufsichtsrat-Vorsitzenden“. Ein Abschiedsgeschenk an den Gründer der BVG
Diese aus Silber gearbeitete Zigarrenkiste aus der Werkstatt des ehemals kaiserlichen Hofjuweliers Johann Heinrich Werner wurde Ernst Reuter 1931 anlässlich seines Ausscheidens aus dem Aufsichtsrat der BVG überreicht. Fünf Jahre lang war er zuvor als Stadtrat für das Verkehrswesen in Berlin tätig gewesen und hatte sich dabei besonders für die Kommunalisierung der zahlreichen privaten Verkehrsbetriebe in der Metropole und die Schaffung eines umfassenden Systems des öffentlichen Personennahverkehrs eingesetzt. Seine Bemühungen mündeten 1929 in der Gründung der Berliner Verkehrs-AG (BVG), des damals größten öffentlichen Nahverkehrsunternehmens der Welt. Zudem trieb Reuter den Ausbau des U-Bahn-Netzes voran: Vor dem Ersten Weltkrieg umfasste es 37 Streckenkilometer – am Ende seiner Amtszeit waren es 76 Kilometer. Auf der von Johannes Boehland (KPM) gestalteten Porzellantafel der Zigarrenkiste ist das U-Bahn-Netz des Jahres 1931 abgebildet.
Bildnachweis »© Thomas Platow, Landesarchiv Berlin.
„Vatis Amerikakoffer“ und die Reise Ernst Reuters in die USA im Jahr 1929
In seiner Funktion als Stadtrat für das Verkehrswesen in Berlin brach Ernst Reuter im Mai 1929 gemeinsam mit Stadtbaurat Martin Wagner und fünf weiteren Delegationsmitgliedern zu einer sechswöchigen Reise durch die USA auf. Ziel des Besuchs war es unter anderem, einen Eindruck des amerikanischen Verkehrswesens und der Städteplanung zu bekommen, denn Berlin stand in diesen Bereichen selbst vor großen Herausforderungen. Begleitet wurde Reuter auf der Reise auch von einem großen Koffer, der heute von der Stiftung verwahrt wird. Er trägt seine Initialen und konnte durch eine ausziehbare Stange als Garderobe genutzt werden. Bei seiner Rückkehr befanden sich in Reuters Koffer nicht nur zahlreiche Notizen, aus denen neben seiner Faszination für die amerikanischen Städte auch kritische Beobachtungen sprechen, sondern auch ein selbstgedrehter halbstündiger Dokumentarfilm mit dem Titel „Amerikanischer Verkehr. Eindrücke einer Studienreise“. Zu den USA-Besuchen des Berliner Magistrats im Jahr 1929 siehe auch das von Michael C. Bienert verfasste Ernst-Reuter-Heft Reisen in die Zukunft.
Bildnachweis »© Landesarchiv Berlin, Rep. F, 290, Nr. 0026923 (Gert Schütz).
Bildnachweis »© Stiftung Ernst-Reuter-Archiv.
Zwei Markenzeichen Reuters – und ein Geburtstagsgeschenk
Der Stock und die Baskenmütze: Das waren die unverkennbaren Markenzeichen Ernst Reuters in der Nachkriegszeit. Sie begleiteten ihn fast immer – so auch auf einer Stadtrundfahrt durch West-Berlin am 9. August 1953, die für Ost-Berlinerinnen und Ost-Berliner organisiert wurde und an der Reuter teilnahm (siehe Foto). Die charakteristische Wirkung der Accessoires blieb natürlich auch den Karikaturisten nicht verborgen. Ein besonderes Zeugnis dieser Tatsache sind die Alben, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Presseamtes Reuter ab 1949 jedes Jahr zum Geburtstag schenkten: Darin befinden sich gesammelte Karikaturen aus der westlichen und der DDR-Presse, auf denen Reuter zumeist mit Baskenmütze und Gehstock zu sehen ist. Im ersten Band mit dem Titel „Dem Oberbürgermeister eine ‚süsse‘ Pille zum 60-sten“, der ausschließlich Ausschnitte der DDR-Presse enthält, wird Reuter zudem häufiger mit einem Fes dargestellt – eine verunglimpfende Anspielung auf seine Zeit in der Türkei. Neben den Bänden mit den Karikaturen zählen die Sammlungen des Landesarchivs Berlins und der Stiftung Ernst-Reuter-Archiv drei Gehstöcke und sieben Baskenmützen des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters.
Bildnachweis »© Stiftung Ernst-Reuter-Archiv.
Ein Buch entsteht – Die Dokumentation zur „Ernst Reuter“-Biografie von Richard Löwenthal und Willy Brandt
Kurz nach dem Tod Ernst Reuters begannen seine Parteifreunde Willy Brandt (1913–1992) und Richard Löwenthal (1908–1991) damit, Materialien für eine Biografie des Politikers zusammenzutragen. Gemeinsam mit mehreren Mitarbeitern und unterstützt von der Witwe erstellten sie eine umfangreiche Quellensammlung, führten Interviews mit Zeitgenossen und fertigten zahllose Abschriften von Briefen, Zeitungsartikeln und Reden an. Diese Unterlagen sowie die Dokumentation der Arbeit an „Ernst Reuter. Ein Leben für die Freiheit“ – darunter Korrespondenzen der Autoren, Kapitelkorrekturen und Umschlagentwürfe – werden heute im Landesarchiv Berlin verwahrt und bieten einen spannenden Einblick in den Entstehungsprozess der 1957 erschienenen Biografie.
↑ Bildnachweis Headerbild© Thomas Platow, Landesarchiv Berlin.