Mehr als nur Papier
Zu den Zielen der Stiftung Ernst-Reuter-Archiv gehört es, den im Landesarchiv Berlin verwahrten Nachlass Ernst Reuters durch Schenkungen, Erwerbungen und Recherchen in ausländischen Archiven fortlaufend zu ergänzen. Hier stellen wir einige Fundstücke aus den Beständen vor.
![Das U-Bahn-Netz aus Porzellan: Das Abschiedsgeschenk der BVG für Ernst Reuter, 1931. Das Foto zeigt die Zigarrenkiste, die Ernst Reuter 1931 anlässlich seines Ausscheidens aus dem Aufsichtsrat der BVG überreicht bekam. Zentraler Blickfang ist die aus Porzellan gefertigte Tafel mit dem Berliner U-Bahn-Netz. In schwarzer Schrift sind wichtige Haltepunkte und die Endbahnhöfe der verschiedenen Linien zu lesen. Im Norden ersteckte sich das Netz im Jahr 1931 bis zu den Stationen Seestraße, Gesundbrunnen und Pankow, die östlichsten Endbahnhöfe hießen Friedrichsfelde und Warschauer Brücke. Im Süden konnte man bis zur Grenzallee, zur Leinestraße, nach Tempelhof, zur Hauptstraße und nach Krumme Lanke fahren. Im Westen endete das Netz an der Uhlandstraße und der Station Ruhleben. Die schematisch nachgemalten Streckenverläufe der U-Bahn-Linien sind in orange, hellrot, blau, grün und braun dargestellt. In der rechten oberen Ecke der Porzellantafel ist das Berliner Wappen mit dem Berliner Bären zu sehen. Die oberen Ränder der rechteckigen Zigarrenkiste aus Silber sind leicht abgerundet. Auf dem längeren Rand unterhalb des U-Bahn-Netzes aus Porzellan befindet sich die Inschrift „Ihrem scheidenden Aufsichtsrat-Vorsitzenden die Berliner Verkehrs-Aktien-Gesellschaft“.](https://ernst-reuter.org/wp-content/uploads/2021/08/04-1024x768.jpg)
Bildnachweis »© Thomas Platow, Landesarchiv Berlin.
„Ihrem scheidenden Aufsichtsrat-Vorsitzenden“. Ein Abschiedsgeschenk an den Gründer der BVG
Diese aus Silber gearbeitete Zigarrenkiste aus der Werkstatt des ehemals kaiserlichen Hofjuweliers Johann Heinrich Werner wurde Ernst Reuter 1931 anlässlich seines Ausscheidens aus dem Aufsichtsrat der BVG überreicht. Fünf Jahre lang war er zuvor als Stadtrat für das Verkehrswesen in Berlin tätig gewesen und hatte sich dabei besonders für die Kommunalisierung der zahlreichen privaten Verkehrsbetriebe in der Metropole und die Schaffung eines umfassenden Systems des öffentlichen Personennahverkehrs eingesetzt. Seine Bemühungen mündeten 1929 in der Gründung der Berliner Verkehrs-AG (BVG), des damals größten öffentlichen Nahverkehrsunternehmens der Welt. Zudem trieb Reuter den Ausbau des U-Bahn-Netzes voran: Vor dem Ersten Weltkrieg umfasste es 37 Streckenkilometer – am Ende seiner Amtszeit waren es 76 Kilometer. Auf der von Johannes Boehland (KPM) gestalteten Porzellantafel der Zigarrenkiste ist das U-Bahn-Netz des Jahres 1931 abgebildet.
![Zu sehen ist eine Detailaufnahme eines klassischen Überseekoffers mit deutlichen Gebrauchsspuren. Die Kofferwand aus Holz ist grün gestrichen, die Farbe blättert an einigen Stellen ab. Die Kanten sind mit schwarzem Leder und zahlreichen, dicht gesetzten Nieten verstärkt. Auf beiden Seiten des abgenutzten Griffs aus hellem Leder befinden sich Kofferscharniere mit Schlüssellöchern. Über dem Griff prangen in gelber Schrift die Initialen „E.R.“.](https://ernst-reuter.org/wp-content/uploads/2021/12/01.jpg)
Bildnachweis »© Thomas Platow, Landesarchiv Berlin.
„Vatis Amerikakoffer“ und die Reise Ernst Reuters in die USA im Jahr 1929
In seiner Funktion als Stadtrat für das Verkehrswesen in Berlin brach Ernst Reuter im Mai 1929 gemeinsam mit Stadtbaurat Martin Wagner und fünf weiteren Delegationsmitgliedern zu einer sechswöchigen Reise durch die USA auf. Ziel des Besuchs war es unter anderem, einen Eindruck des amerikanischen Verkehrswesens und der Städteplanung zu bekommen, denn Berlin stand in diesen Bereichen selbst vor großen Herausforderungen. Begleitet wurde Reuter auf der Reise auch von einem großen Koffer, der heute von der Stiftung verwahrt wird. Er trägt seine Initialen und konnte durch eine ausziehbare Stange als Garderobe genutzt werden. Bei seiner Rückkehr befanden sich in Reuters Koffer nicht nur zahlreiche Notizen, aus denen neben seiner Faszination für die amerikanischen Städte auch kritische Beobachtungen sprechen, sondern auch ein selbstgedrehter halbstündiger Dokumentarfilm mit dem Titel „Amerikanischer Verkehr. Eindrücke einer Studienreise“. Zu den USA-Besuchen des Berliner Magistrats im Jahr 1929 siehe auch das von Michael C. Bienert verfasste Ernst-Reuter-Heft Reisen in die Zukunft.
![Ernst Reuter mit Baskenmütze und Stock auf einer Stadtrundfahrt durch West-Berlin am 9. August 1953.](https://ernst-reuter.org/wp-content/uploads/2021/10/F_Rep_290_0026923.jpg)
Bildnachweis »© Landesarchiv Berlin, Rep. F, 290, Nr. 0026923 (Gert Schütz).
![Eine Karikatur des Wochen-Kurier vom 18. Februar 1949. Eine Karikatur des Wochen-Kurier vom 18. Februar 1949 Eine Karikatur des Wochen-Kurier vom 18. Februar 1949.](https://ernst-reuter.org/wp-content/uploads/2021/10/Karikatur-Wochen-Kurier-18.2.jpg)
Bildnachweis »© Stiftung Ernst-Reuter-Archiv.
Zwei Markenzeichen Reuters – und ein Geburtstagsgeschenk
Der Stock und die Baskenmütze: Das waren die unverkennbaren Markenzeichen Ernst Reuters in der Nachkriegszeit. Sie begleiteten ihn fast immer – so auch auf einer Stadtrundfahrt durch West-Berlin am 9. August 1953, die für Ost-Berlinerinnen und Ost-Berliner organisiert wurde und an der Reuter teilnahm (siehe Foto). Die charakteristische Wirkung der Accessoires blieb natürlich auch den Karikaturisten nicht verborgen. Ein besonderes Zeugnis dieser Tatsache sind die Alben, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Presseamtes Reuter ab 1949 jedes Jahr zum Geburtstag schenkten: Darin befinden sich gesammelte Karikaturen aus der westlichen und der DDR-Presse, auf denen Reuter zumeist mit Baskenmütze und Gehstock zu sehen ist. Im ersten Band mit dem Titel „Dem Oberbürgermeister eine ‚süsse‘ Pille zum 60-sten“, der ausschließlich Ausschnitte der DDR-Presse enthält, wird Reuter zudem häufiger mit einem Fes dargestellt – eine verunglimpfende Anspielung auf seine Zeit in der Türkei. Neben den Bänden mit den Karikaturen zählen die Sammlungen des Landesarchivs Berlins und der Stiftung Ernst-Reuter-Archiv drei Gehstöcke und sieben Baskenmützen des ehemaligen Regierenden Bürgermeisters.
![Coverentwürfe der englischsprachigen Ausgabe mit der Briefmarke der Deutschen Post (Berlin) zum ersten Todestag Reuters (1954) und Akten, die die Entstehung der Biografie dokumentieren. Zu sehen sind drei aus Pappe gefertigte Coverentwürfe, die sich in der Farbgebung und der Platzierung des Schriftzugs „Reuter of Berlin“ – so der Titel der englischsprachigen Ausgabe – unterscheiden. Auf allen drei Entwürfen befinden sich leicht voneinander abweichende Ausschnitte eines Schwarzweißabdrucks von einer Briefmarke der Deutschen Post Berlin mit einem Portrait von Ernst Reuter und dem Wappen von Berlin, das den Berliner Bären zeigt. Die Briefmarke wurde 1954 zum ersten Todestag von Ernst Reuter herausgegeben. Unter den Entwürfen liegen aufgeschlagenen Akte des Landesarchivs Berlin, die aus dem Bestand stammen, der die Entstehung der Biografie dokumentiert.](https://ernst-reuter.org/wp-content/uploads/2021/12/Brandt-Loewenthal.jpg)
Bildnachweis »© Stiftung Ernst-Reuter-Archiv.
Ein Buch entsteht – Die Dokumentation zur „Ernst Reuter“-Biografie von Richard Löwenthal und Willy Brandt
Kurz nach dem Tod Ernst Reuters begannen seine Parteifreunde Willy Brandt (1913–1992) und Richard Löwenthal (1908–1991) damit, Materialien für eine Biografie des Politikers zusammenzutragen. Gemeinsam mit mehreren Mitarbeitern und unterstützt von der Witwe erstellten sie eine umfangreiche Quellensammlung, führten Interviews mit Zeitgenossen und fertigten zahllose Abschriften von Briefen, Zeitungsartikeln und Reden an. Diese Unterlagen sowie die Dokumentation der Arbeit an „Ernst Reuter. Ein Leben für die Freiheit“ – darunter Korrespondenzen der Autoren, Kapitelkorrekturen und Umschlagentwürfe – werden heute im Landesarchiv Berlin verwahrt und bieten einen spannenden Einblick in den Entstehungsprozess der 1957 erschienenen Biografie.
↑ Bildnachweis Headerbild© Thomas Platow, Landesarchiv Berlin.